Sonntag, 15. November 2015

Aufbruch

Wenn eine eine Reise tut, dann hat sie was zu erzählen. Vom Drei-Welten-Modell zum Beispiel. Oder davon, warum die Landkarte nicht die Landschaft ist. Und darüber, wie ein wertschätzender Umgang Hirn und Herz öffnet.

Beim Packen musste ich mich entscheiden: Was mitnehmen? Und vor allem, wie viel zum Baustein 1 "Organisationsentwicklung und Changemanagement" nach Wiesloch mitnehmen? Im Koffer stapelten sich bereits Bücher (Ok, ich wollte ein bisschen angeben, was ich in Sachen Systemische Beratung schon alles gelesen habe), meine Laufsachen, Yogamatte, etc. Also beschränkte ich mich auf drei Paar Schuhe. Die müssten für drei Tage Seminar ausreichen. Haben sie auch. Denn ich hätte sie alle daheim lassen können. Das einzige, was Mann und Frau in Wiesloch während der Veranstaltungen an den Füßen tragen, sind Socken. Wirklich! Aber das wusste ich ja beim Packen noch nicht. Und warum wir alle "strumpfsockert" (wie das bei uns in Bayern genannt wird) lernten, dazu etwas später noch meine ganz persönliche Mutmaßung.

 Zeig mir Deine Schuhe und ich sage Dir, wer Du bist ;-) Stimmt so nicht ganz ...


Denn beim isb in Wiesloch haben alle Bodenkontakt. Socken also statt Schuhe.


Aber erst musste ich losfahren. Mein Weg ist kilometermäßig weit (444 km), aber manchmal lohnt sich ein weiter Weg. Weil er ans Ziel führt. Oder einen dem Ziel ein großes Stück näher bringt.
Die ersten 100 Kilometer waren allerdings heftig: Sintflutartige Regenfälle. So gut wie keine Sicht. Was aber einige Autofahrer nicht davon abhielt, zu rasen. Nach dem siebten Unfall hörte ich das Zählen auf. Schlich mit ca. 17 km/h Durchschnittsgeschwindigkeit dahin und ließ mich vom Auf und Ab der Scheibenwischer in eine Trance der Langsamkeit versetzen. Und nur so ganz nebenbei: Langsamkeit ist nicht so mein Tempo.

Sobald ich München im Rücken hatte, hörte der Regen auf. Und da meine Route ab Nürnberg nach Westen führte, wurde mein ermüdeter Blick von einer warmen Kaskade an Sonnenuntergangsfarben umschmeichelt. Ich begann mich zu freuen. Wie ein Kind auf ein Abenteuer.
Angekommen im Schlosshof bzw. im Gästehaus am Schulhof überraschten mich Obst auf dem Tisch, eine Brotzeit auf dem Teller und eine Flasche Weißwein im Kühlschrank. Genau so fühlt es sich an, willkommen zu sein.

Das Abenteuer beginnt: Systemische Kompetenzen in Veränderungsprozessen



isb in Wiesloch: Ein sehr entspannter Ort zum Lernen

Am nächsten Morgen enspanntes Laufen durch den Part und noch entspanntere Yogaübungen auf der Dachterrasse. Im frühmorgendlichen Oktobersonnenlicht fällt die Hektik von mir ab. Vielleicht ein bisschen zu sehr. Denn der Blick auf die Uhr offenbart mir, dass ich zu spät kommen werde. Peinlich! Also weniger entspanntes Anziehen und auf Pumps im Laufschritt die wenigen Meter zum Veranstaltungsort.

Die Pumps hätte ich mir, wie bereits angedeutet, sparen können, denn das Seminar findet in Socken statt. Lehrtrainer in Socken und mir mir 16 Teilnehmer in Socken. Hat was. Meine Entspanntheit kehrt zurück.

Und hier meine Mutmaßungen zum schuhlosen Lernen: Unsere Füße sind eine Landkarte des Körpers, durfte ich bei Recherchen für einen Artikel über Akupressur lernen. Als grobe Einteilung gilt: Die Zehen spiegeln Kopf und Hals, der Mittelfuß den Brustraum wider, die Fersen den Bauch und das Becken. Indem wir in Wiesloch also alle schuhlos sind, haben wir nicht nur den gleichen Bodenkontakt und damit eine prinzipielle Erdung, sondern wir aktivieren den ganzen Körper. Von den Zehen bis zum Kopf sozusagen.

Ich setze mich möglichst unauffällig auf den freien Stuhl im Halbkreis und versuche den Ausführungen unseres Lehrtrainers Markus Schwemmle zu folgen. 
Markus Schwemmle


Er vergleicht den ersten Baustein mit einer Ouvertüre. Was nichts anderes bedeutet, als dass er alle Themen und Motive in den nächsten Tagen anspielt, die später ausführlich behandelt werden. 

Das nehme ich erst mal zur Kenntnis und lasse meinen Blick über die 15 Menschen wandern, die mit mir auf Reise gehen. Denn irgendwie hat sich das Bild in meinem Kopf festgesetzt, dass die Ausbildung am isb einer Reise gleichen wird.




Wirklichkeitsakte


Unterschiedlich und doch verbunden: 16 Menschen, die sich gemeinsam ein Jahr lang
mit Organisationsentwicklung und Changemanagement am isb in Wiesloch beschäftigen
"Was entsteht zwischen uns, wenn wir uns das erste Mal treffen?", fragt Markus Schwemmle und unterbricht damit meine Reisephantasie. "Bilder, Gedanken, Gefühle dominieren", beantwortet er seine Frage. Weniger entscheidend sei das gesprochene Wort. Das erinnert mich an mein lange zurückliegendes Kommunikationswissenschafts-Studium. Nur um die 10 Prozent einer Botschaft, meine ich mich zu erinnern, macht das gesprochene Wort aus. Mimik, Gestik, Körpersprache, Auftreten und Kleidung, die sogenannte nonverbale Kommunikation, bestimmen zu mehr als  50 Prozent, Tonfall, Stimmlage, Tempo und Lautstärke (paraverbale Faktoren) zu etwa 40 Prozent, was und wie etwas beim Empfänger ankommt. Und im Hintergrund, sozusagen auf der persönlichen Festplatte, schwingen noch jede Menge erlebte Momente, Erinnerungen, gesellschaftliche Normen und Bilder mit.

Man kann nicht nicht kommunizieren

Oder um es mit den Worten von Paul Watzlawick zu sagen: "Wir können nicht nicht kommunizieren. Kommunikation findet immer statt, wo Menschen als soziale Wesen zusammen sind. Unser Körper verrät uns."

Damit sei das Wahrnehmen, formuliert Markus Schwemmle, eine Form der Wahrgebung. Was vereinfacht ausgedrückt heißt: Wir suchen Ankerpunkte in unserer Erinnerung, um Menschen einzuordnen. Das hilft uns, uns zurechtzufinden. Und hat nicht zwangsläufig etwas mit Schubladen-Denken zu tun. Zumindest sollte es das nicht. Und um gleich einmal die Probe aufs Exempel zu machen, starten wir mit einer Spiegelungsübung. Weitere werden folgen. Aber das weiß ich - wissen wir - zu diesem Zeitpunkt noch nicht. Ich bin fast ein bisschen aufgeregt. Denn es ist die erste Spiegelungsübung in meinem Leben. 

Die Spiegelungsübung gehört in den Bereich der Intuitionsübungen in Anfangssituationen, also wenn man sich kennenlernt. Sie zeigen, wie schnell sich Menschen intuitiv einschätzen und nach diesen Bildern richten.


Spiegelungsübung

Wir finden uns zu Viert zusammen. Unsere Gruppe ist ganz paritätisch besetzt: 2 Männer und 2 Frauen. Drei Paar Augen richten sich eine Minute lang auf einen von uns. Dann hat jeder drei Minuten die Möglichkeit, das zu formulieren, was er im und am anderen gesehen hat. Und das im Wechsel. Reihum. So lautet die Vorgabe. Klingt eigentlich ganz einfach. Und doch ist es alles andere als einfach, sich eine Minute lang betrachten zu lassen. Wohin mit den Händen? Ernst blicken oder eher lächeln?


Spieglein, Spieglein an der Wand ... ;-)
Gut, dass ich mich seit Jahren in Yoga übe, so kann ich mich auf meinen Atem konzentrieren. Einatmen, ausatmen, einatmen, ausatmen und dabei an möglichst wenig denken, während mich Blick abtasten. Wohlwollend erfassen, stimmt wohl eher. Denn was ich von den anderen Gruppenmitgliedern höre, überrascht mich: im Inhalt und der Tonalität (sehe etwas weiter oben: Was bestimmt, wie eine Botschaft ankommt).
Ich wirke (und ich zitiere hier nur aus der ersten Spiegelungsübung, das sage nicht ich über mich) wie der Prototyp einer Powerfrau (das hört Frau gerne :-), sei ein Typ zum Pferdestehlen (höre zumindest ich gerne), sei impulsiv, kreativ, geradeheraus, ein kommunikativer Typ (Gott sei Dank wirke ich so, nachdem Kommunikation mein Beruf ist), wirke wie ein Bauchmensch, ehrgeizig, aber nicht immer strukturiert (Ok, sie kennen mein Sternzeichen nicht ;-). Mein Blick auf andere sei wertschätzend, wirke sehr mütterlich, empathisch und vermittle die Fähigkeit, Brücken zwischen ganz unterschiedlichen Menschen bauen zu können. 
Wenn ich nicht schon gesessen hätte, hätte ich mich hinsetzen müssen. So sehr hat mich diese Spiegelung als erstes Feedback berührt.


Achtsames, wertschätzendes Feedback

Nicht weil es meiner inneren Checkliste entsprach, wie ich gerne gesehen werden will (sofern ich denn eine solche Checkliste habe). Sondern weil die Art und Weise, wie die Drei über mich gesprochen haben, in der Welt, in der ich mich sonst als Selbstständige bewege, sehr ungewöhnlich ist. Sie sprachen voller Respekt und Achtsamkeit, intuitiv und wertschätzend, mit professioneller Distanz und Nähe. Das sind keine keine Gegensätze, sondern eine Sichtweise, die zu 100 Prozent zu dem isb in Wiesloch passt. Das Institut mit ausmacht. Und die man sofort annimmt, wenn man dort ist.



  

3 Kommentare:

  1. Liebe Raphaela,
    wenn Du das nächste Mal in der Nähe von Landau bist, dann melde dich- würde mich riesig freuen, dich mal persönlich kennen zulernen.
    Liebe Grüße
    Caro
    Ich bin auch bei Blogger ;-)

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  2. Das machen wir! Unbedingt!!
    Dann wird aus virtueller Freundschaft reale :-)
    Grüße
    Raphaela

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  3. Das machen wir! Unbedingt!!
    Dann wird aus virtueller Freundschaft reale :-)
    Grüße
    Raphaela

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