Montag, 8. Februar 2016

Den Grund erkennen

"Um klarer zu sehen, genügt oft ein Wechsel der Blickrichtung", stellte Antoine de Saint-Exupéry fest. Dass lässt sich auf den Beratungsprozess übertragen. Vor allem auf den Beginn: die Auftragsklärung


Wenn der Blick klar ist, erkennt man den Grund.
Im See ebenso wie in Gesprächen. (Foto: Gerald von Velasco)
"Sage mir, wie ein Projekt beginnt, und ich sage Dir, wie es endet." Volker Köhninger sieht in den Raum, 15 Augenpaare blicken leicht irritiert zurück. "Jede Frage, die man am Anfang nicht stellt, wird man später bitter bereuen", fügt er an. Noch so ein Satz, der irritiert. Zumindest mich. Dabei steht doch Klärung auf dem Programm, Auftragsklärung, um genau zu sein. Und um mich vollends zu verwirren, betont Volker Köhninger, dass es sich auszahlt, gerade zu Beginn unbequem zu sein.

Volker Köhninger 
Klar kenne ich das unbequeme Nachfragen von Interviews. Und auch das nagende Gefühl der vertanen Chance, wenn beim Schreiben klar wird, dass man da besser noch eine Frage draufgesetzt hätte. Aber dass das auch für Aufträge gilt, ist mir neu. Auch wie viel mein Job bzw. mein "Handwerkskoffer" als Journalist mit dem des Beraters zu tun hat. Dazu später noch mehr. Jetzt geht es erst Mal um die Auftragsklärung aus systemischer Sicht. Und damit um eine andere Sicht als ich sie als Journalistin gelernt und verinnerlicht habe  

Was ist systemisch?

Das lässt sich mit wenigen Sätzen beschreiben. Glaube ich, zumindest habe ich es so verstanden. Die grundlegende Haltung ist neutral, ressourcen- und lösungsorientiert, wertschätzend, auch dort wo Differenzen sichtbar sind. Gekennzeichnet ist die Interaktion von mehr Zuhören als Reden, denn der Kunde ist der Experte, der Berater dagegen ein qualifizierter Nichtwissender. Also muss er viel erfahren, um seine Qualifikation sinnstiftend einbringen zu können.

Fragen und Zuhören

In der Medizin heißt es: "Fragen sind die beste Medizin." Ich gewinne den Eindruck, das gilt auch im Beratungsgespräch. Denn Fragen hilft verstehen lernen: Den Mensch, der mir gegenüber sitzt, seine Art zu denken, seine Versuche, Probleme zu lösen, seine inneren und äußeren Konflikte. Und es hilft ihm, Lösungsansätze zu entwickeln. Zum Fragen aus systemischer Sicht gehört das Zuhören, das Nicht-Unterbrechen, das Nicht-Besserwissen, das Aufmerksam- und Achtsamsein. Und das so lange Nachfragen, bis ich verstanden habe, worum es wirklich geht, um wen es geht, was verändert werden soll, was hemmt und Widerstände auslöst.





W-Fragen klären

Und auch wenn das Ziel ein anderes ist, hilft mir hier das Instrumentarium der journalistischen W-Fragen: Wer hat wann was wo aus welchem Grund mit wem, mit welcher Absicht und welchem Ziel getan ... Leicht variiert lassen sich die W-Fragen als Stufe 1 der Auftragsklärung einsetzen. Und wie bei den Journalisten gilt: Nachfragen, wenn was unklar bleibt. Allerdings nicht bohrend und auch nicht kritisch, sondern wertschätzend und wohlwollend. "Geduldig", wie Volker Köhninger betont. Und zitiert aus einem Gedicht von Rainer Maria Rilke. 


Über die Geduld
(von Rainer Maria Rilke)
Man muss den Dingen
die eigene, stille
ungestörte Entwicklung lassen,
die tief von innen kommt
und durch nichts gedrängt
oder beschleunigt werden kann,
alles ist austragen – und
dann gebären…
Reifen wie der Baum,
der seine Säfte nicht drängt
und getrost in den Stürmen des Frühlings steht,
ohne Angst,
dass dahinter kein Sommer
kommen könnte.
Er kommt doch!
Aber er kommt nur zu den Geduldigen,
die da sind, als ob die Ewigkeit
vor ihnen läge,
so sorglos, still und weit…
Man muss Geduld haben
Mit dem Ungelösten im Herzen,
und versuchen, die Fragen selber lieb zu haben,
wie verschlossene Stuben,
und wie Bücher, die in einer sehr fremden Sprache
geschrieben sind.
Es handelt sich darum, alles zu leben.
Wenn man die Fragen lebt, lebt man vielleicht allmählich,
ohne es zu merken,
eines fremden Tages
in die Antworten hinein.

Erproben in der Peer Group

Zwischen den Bausteinen treffen wir uns einer Peer-Group. Um das Gehörte im geschützten Raum in die Tat umzusetzen. Um Fehler machen zu können und aus ihnen zu lernen. Das mache ich dann gleich mal ausgiebig und falle als Berater in die Rolle der Journalistin zurück: Frage ungeduldig nach, insistiere, versuche meine (Probe)Klientin auf Details und To-Do-Listen festzunageln. Und erhalte sogleich die Quittung: Sie blockt ab, verstummt. Mein Beratungsgespräch droht zu scheitern. Bis ich tief durchatme und mich wieder auf die Rolle besinne, die ich in dieser Situation einnehme, wertschätzend nach Hintergründen frage, zuhöre, Pausen zulasse. Und dadurch ein Bild davon gewinne, was mein Gegenüber bewegt, wo sie Unterstützung wünscht, wie mein Beitrag aussehen könnte.

Und am Ende: wieder fragen

Wenn die wichtigsten Faktoren klar sind, die Aufgabe benannt, die ersten Schritte vereinbart, dann folgt eine Reihe (ganz und gar unjournalistischer) Fragen: "Was war in diesem Gespräch hilfreich?", "Was nehmen Sie mit?" und "Was ist für Sie noch offen?" signalisieren dem Gegenüber, wie wichtig und wesentlich seine Einschätzung ist. Und sie zeigen an, dass Auftragsklärung nicht mit einem einmaligen Termin abgeschlossen ist, sondern dass damit ein Prozess beginnt, der immer wieder neu überprüft, feinjustiert und abgestimmt werden muss.


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