Mittwoch, 1. Juni 2016

Verantwortung wahrnehmen

Manchmal sind Lerninhalte so einprägsam, dass sie einen Aha-Effekt im Alltag auslösen. Bei mir waren das die Dimensionen "Können, Müssen, Sollen, Wollen" im Verantwortungssystem. OK, es war nicht der Alltag, als ich diesen Aha-Effekt erlebte, sondern es geschah auf einer Wandertour im Urlaub. Einer ganz einfachen Wandertour, zumindest laut Plan.


Mamasein lehrt Verantwortung zu übernehmen
"Verantwortung wahrnehmen umfasst zwei Aspekte: Denn jemand muss erkennen, wie und in welchem Umfang ihm Verantwortung zukommt. Und er muss entsprechend seiner Einsicht, seiner Wahrnehmung auch handeln." Wikipedia zu Art und Grad der Verantwortung 


Verantwortung war ein Thema im 4. Baustein des Curriculums Systemische Organisationsentwicklung und Changemanagement und Verantwortung war ein Thema in meinem Urlaub. Nicht im Sinnde des Verantwortungsdialogs als Mittel zur Selbststeuerung und Konfliktklärung in Organisationen (auf diese Form gehe ich im nächsten Beitrag ein), sondern als unmittelbare Verantwortung, erlebt und gelebt während einer Wanderung.

Wir, das waren meine beste Freundin und ich mit unseren drei Töchtern, wanderten entlang der ligurischen Küste auf der Halbinsel Portofino. Die Tour führte von Camogli nach San Fruttosa und wurde vom Reiseführer als "leicht" bezeichnet. Das war sie auch, bis wir nach (gefühlten) Hunderten von Stufen und Wegen durch Olivenhaine und urwaldartige Wälder an eine Abzweigung gelangten. Beide Hinweisschilder nannten San Fruttosa als Ziel. Rechts oder links war also die Frage, die ich ganz spontan (in Ermangelung weiterer Infos, der Reiseführer lag auf dem Frühstückstisch in der Unterkunft) mit rechts beantwortete. Das Gelände wurde abenteuerlicher: Große Felsbrocken, die wir überklettern mussten. Steile Abhänge, an denen wir uns vorsichtig Schritt für Schritt entlanghangelten. Ausgesetzte Wegstücke, nur Ketten, die in den Fels eingelassen waren, versprachen so etwas wie Halt, falls die Füße diesen auf dem schmalen Grat verlieren würden. 





Wunderschön und risikoreich, da ausgesetzt
ein Wegstück der Wanderroute nach San Fruttosa
Mit "ausgesetzt" bezeichnet man im Alpinismus diejenigen Stellen eines Weges, bei denen aufgrund der Steilheit des Geländes im Falle eines Absturzes große Verletzungsgefahr besteht. Ein Fehltritt hat eine große Fallhöhe zur Folge. Absolute Trittsicherheit und Schwindelfreiheit sind daher Voraussetzungen zum Begehen.

Und unsere Gruppe bestand aus zwei Teenagern, einem Kind, einer Frau mit Höhenangst und mir. Nicht dass ich immer trittsicher bin, aber ich klettere seit zwei Jahren, finde am Fels (meist) Halt und vertraue meiner Balance. Aber das gilt eben nur für mich, nicht für die Gruppe. Und ich hatte die Entscheidung für diesen Weg getroffen. Ich fühlte mich verantwortlich.

"Verantwortung setzt sich aus vier Dimensionen zusammen", erinnerte sich mein Kopf an einen Lerninhalt am isb. "Aus Können, Dürfen, Müssen und Wollen." Mir wurde klar, dass ich nicht die Verantwortung übernehmen konnte für eine Fortsetzung dieser Tour, dass ich das gar nicht durfte, da es reiner Leichtsinn gewesen war, diesen Weg zu wählen. Und mir wurde klar, dass ich die Verantwortung übernehmen musste fürs Umkehren. Mein "Wollen" war in diesem Zusammenhang unwesentlich, es galt Entscheidungen zu treffen für die Gruppe, nicht für mich, die sich am Fels wohlfühlte und den Weg gerne zu Ende gegangen wäre. 

Also besprach ich auf einem Felsvorsprung, der genug Raum bot, mit meiner Freundin, wie es nach meiner Auffassung weitergehen sollte, motivierte die Mädels und wir kehrten um. Mit meiner ständigen (und sicherlich auch wenig entspannten) Ermahnung, die Kette nie, wirklich nie loszulassen, meisterten wir vorsichtig, Schritt für Schritt, wiederum die ausgesetzten Passagen. Und belohnten uns dafür mit einem Picknick auf einer Plattform in sicherem Abstand zum Abgrund. Soweit das Auge reichte ein spektakulärer Blick die Steilküste entlang, unter uns das das schäumende türkisblaue Meer. Und in mir die Gewissheit, die richtige Entscheidung getroffen und Verantwortung wahrgenommen zu haben.   

Im Quartier sahen wir uns die Route nochmals an. Sie war (auf dem Papier) eindeutig als schwarze Route ausgewiesen, das heißt als "schwierig" klassifiziert mit Trittsicherheit, alpiner Erfahrung, Schwindelfreiheit und Mindestbergausrüstung als Anforderung. Die linke Route wäre "blau" gewesen, also relativ einfach und problemlos auch mit Kindern und Höhenangst zu bewältigen. Auf alle Fälle weiß ich jetzt, dass ein Blick daheim in den Wanderführer nicht ausreicht. Und dass Routen in Italien nicht genauso deutlich auch auf dem Weg farblich gekennzeichnet sind wie in Deutschland und Österreich.

Und noch etwas habe ich gelernt: Das, was ich am isb zu Verantwortung gehört habe, hat mir Klarheit verschafft, so dass ich gar nicht erst ratlos oder panisch wurde. Sozusagen "isb to go" oder etwas weniger salopp formuliert "isb-Inhalte als Proviant für den Weg, der vor einem liegt".     

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